Gesetzliche Grundlagen und Einschränkungen

Nach § 6 Tierschutzgesetz fällt die Kastration von Hunden (männlichen und weiblichen), ebenso wie das Kupieren von Ohren und Ruten sowie das Entfernen der Wolfskrallen unter das Amputationsverbot und darf nur bei Vorliegen von medizinischen Gründen vorgenommen werden.

Der Wunsch des Tierbesitzers ist dafür nicht ausreichend, und eine nur aus Bequemlichkeit vorgenommene Kastration damit illegal!

Link: http://www.tierklinik.de/medizin/gynaekologie/kastration-weiblich/kastration-der-huendin

 

Die Kastration beim Hund -

Paradigmenwechsel

16.10.2014
Von Ralph Rückert, Tierarzt

Ich gehöre zu einer Generation von Tierärzten, der beigebracht wurde, eher beiläufig und ohne großes Nachdenken alles zu kastrieren, was nicht bei Drei auf dem Baum ist. Für einige Tierarten ist das auch nach wie vor der einzig gangbare Weg. Katzen beiderlei Geschlechts werden nun einmal erst durch die Kastration zu Haustieren. Auch Kaninchen und einige Nager können unkastriert eigentlich nicht artgerecht gehalten werden. Beim Hund waren wir aber bezüglich der Kastration nie in einer echten Zwangslage. Man kann mit entsprechendem Aufwand selbstverständlich intakte Rüden und Hündinnen völlig artgerecht halten. Andere Gründe waren ausschlaggebend: Die Prophylaxe verschiedener Erkrankungen, verhaltensmedizinische Probleme und die generelle Erleichterung der Haltung für den Besitzer. Den Vorteil der Unfruchtbarmachung hat man eher nebenbei mitgenommen. Wir lebten in der Überzeugung, dass wir den Hunden auf jeden Fall etwas Gutes tun. Diesbezüglich wird uns aber nun gerade der Teppich unter den Füßen weggezogen! Wenn Sie es irgendwo laut krachen hören, könnte das der Aufprall unseres kollektiven tiermedizinischen Hinterns auf dem Boden sein.
Es ist nicht so, dass ich nicht schon seit einigen Jahren die Glocken hätte läuten hören. Immer wieder kamen Studien heraus, die den Verdacht nährten, dass die Nebenwirkungen der Kastration des Hundes bei beiden Geschlechtern weit über das hinausgingen, was wir bisher für gegeben erachtet hatten. Es handelte sich aber erstmal nur um einzelne Veröffentlichungen, die teilweise auch gleich wieder mit Gegenstudien angegriffen wurden. Nun sind aber erste sogenannte Metaanalysen im Umlauf, also Arbeiten, die die Ergebnisse mehrerer Studien zu einem Thema zusammenfassen. Auch deren Folgerungen sind nach wie vor beileibe nicht unumstritten, aber es zeichnet sich doch ein klarer Trend ab, auf den ich als Praktiker an der Front reagieren muss.

Prof. Dr. Börne aus dem Münsteraner Tatort-Team sagte in der letzten Folge sinngemäß: Feste Überzeugungen sind was für schlechte Ärzte, Heilpraktiker und Taxifahrer! Er hat auf jeden Fall damit recht, dass gute Mediziner sich immer darüber im Klaren sein müssen, dass die Medizin eine Wissenschaft ist und dass die Wissenschaft nicht stillsteht. Das kann manchmal, so erschreckend das sowohl für Arzt als auch Patienten sein mag, zu einem recht abrupt wirkenden Kurswechsel führen. Und genau so etwas kündigt sich jetzt bezüglich der Hundekastration an.

Was haben wir bisher als Tatsachen gesehen? Trennen wir es mal der Übersichtlichkeit halber nach Geschlecht auf und fangen wir mit der Hündin an. Während unserer immer schon sehr ausführlichen Kastrationsberatung wurden Besitzer von Hündinnen seit jeher auf die folgenden Risiken hingewiesen:
-Harninkontinenz (Harnträufeln), das um so wahrscheinlicher auftritt, je schwerer die Hündin wird.
-Fellveränderungen (Baby- oder Wollfell), sehr häufig auftretend bei langhaarigen Rassen.
-Fettleibigkeit, die vor allem dann entsteht, wenn die Fütterung nicht an den reduzierten Kalorienbedarf nach einer Kastration angepasst wird.
-Seit einigen Jahren weisen wir auch auf unsere persönliche Erfahrung hin, dass die unter Hunden weit verbreitete Schilddrüsen-Unterfunktion (Hypothyreose) so gut wie ausschließlich bei kastrierten Tieren festgestellt wird.

Das war's aber auch schon. Was haben wir als Vorteile erwähnt?
-Keine Läufigkeit mehr (keine Blutung, keine ungewollte Fortpflanzung)
-Je nach Zeitpunkt der Kastration so gut wie vollständige Verhinderung von Mammatumoren (Brustkrebs)
-Definitive Vermeidung von Eierstock-Tumoren und der Gebärmutter-Vereiterung (Pyometra)
-Stabilisierung der Psyche durch Vermeidung starker hormoneller Schwankungen im Rahmen der Läufigkeit, allerdings mit der Einschränkung, dass bei manchen Hündinnen nach der Kastration ein gewisser Testosteron-Überhang entsteht, was die Hündin insgesamt männlich-grimmiger machen kann.

Auch das Für und Wider der im angloamerikanischen Kulturraum so weit verbreiteten Frühkastration (vor der ersten Läufigkeit) wurde besprochen. Ich bilde mir ein, dass ich nie einen Hündinnen-Besitzer zu etwas gedrängt habe. Mir war immer wichtig, dass der Verantwortliche in möglichst umfassender Kenntnis der aktuellen Faktenlage eine Entscheidung trifft und dann deren Vor- und Nachteile akzeptiert.

Beim Rüden war die Kastration immer eine Kann-aber-muss-nicht-Geschichte. Die krankheitsverhütenden Auswirkungen waren recht überschaubar, die Nebenwirkungen auch.
Nachteile:
-Auch beim Rüden tritt gelegentlich Harninkontinenz auf, aber viel seltener als bei der Hündin.
-Das gleiche gilt für Fellveränderungen.
-Das Problem des verringerten Kalorienbedarfs besteht völlig analog zur Hündin, also werden Rüden, die nach der Kastration die gleiche Futtermenge wie zuvor bekommen, ebenso fettleibig.
-Ebenfalls wie bei der Hündin stellen wir Schilddrüsenunterfunktionen eigentlich nur bei kastrierten Tieren fest.
Bezüglich der Vorteile lag die Hauptbetonung immer auf einer vom Besitzer erhofften Modifikation des typischen Rüdenverhaltens (Markieren, sexuell motivierte Aggression, Streunen, etc.). Von einer krankheitsverhütenden Wirkung ging man aus bezüglich:
-Hodentumoren (logisch!)
-Prostatatumoren
-Gutartiger Prostatavergrößerung
-Perianaltumoren

Auch in dieser Frage haben wir keinen Besitzer zu irgendetwas gedrängt, sondern eine eigene, auf Fakten beruhende Entscheidung gefördert. Allerdings sind wir seit der Markteinführung des Suprelorin-Implantates, das einen Rüden für eine bestimmte Zeit hormonell und reversibel - sozusagen auf Probe - kastriert, auch in Bezug auf diese Operation sehr zurückhaltend geworden.

Insgesamt kann man sagen, dass wir bei beiden Geschlechtern bis vor einiger Zeit der Ansicht waren, dass die Vorteile die Nachteile eher überwiegen. Wir haben diesen Standpunkt nicht nur vertreten, sondern durchaus selbst befolgt. Unsere Ridgeback-Hündin Nandi, die vor vier Jahren gestorben ist, war kastriert. Laurin, der jetzt zehn Jahre alte Rüde unserer Tochter, ist ebenfalls kastriert. Unser jetziger Hund, der vier Jahre alte Terrier-Rüde Nogger, ist es dagegen nicht. Was hat sich geändert? Ich muss dazu etwas weiter ausholen, bitte halten Sie durch!

Ich behaupte, dass die Tiermedizin als Wissenschaft sich zu lange auf sehr alten Studien zu dieser Thematik ausgeruht hat. Viele der Daten, mit denen wir argumentiert haben, stammen aus den Siebziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts. In letzter Zeit aber setzt sich in der medizinischen Wissenschaft ein neues Denken durch, die sogenannte Evidenzbasiertheit, was (vereinfacht) bedeutet, dass sich möglichst jede medizinische Vorgehensweise auf tatsächlich beweisbare Fakten stützen sollte. Dementsprechend wird momentan alles in Frage gestellt, was immer schon als Tatsache galt, aber nie so richtig bewiesen wurde. So wuchs auch der Drang der Forscher, das alte Thema der Kastration erneut aufzugreifen. Wie weiter oben schon erwähnt: Zuerst waren es einzelne und stark in Zweifel gezogene Studien, die zur Veröffentlichung kamen und noch keinen echten Anlass für einen Kurswechsel darstellten. Inzwischen verdichtet sich die Datenlage aber derart, dass man sie nicht mehr ignorieren kann.

Was ist jetzt das Problem, fragen Sie? Das Hauptproblem, mit einem Wort ausgedrückt, ist Krebs! Mit der Kastration wird einerseits das Auftreten bestimmter Tumore verhindert, andererseits aber steigt das Risiko für andere Krebsarten, und zwar wahrscheinlich so deutlich, dass das gesamte bisherige Kastrationskonzept in Frage gestellt wird. Einer der wichtigsten Grundsätze der Medizin lautet: Nihil nocere! Niemals schaden! Für mich sieht es inzwischen fast so aus, als ob man einen Hund nicht mehr ohne strengste Indikationsstellung kastrieren könnte, ohne diesen Grundsatz zu verletzen.

Eine der umfassendsten und bezüglich der Fallzahlen beeindruckendsten Arbeiten zu dem Thema ist für mich "Evaluation of the risk and age of onset of cancer and behavioral disorders in gonadectomized Vizslas (Risiko und Erkrankungsbeginn von Krebs und Verhaltensstörungen bei kastrierten Vizslas)". In dieser im Februar diesen Jahres im angesehenen Journal of the American Veterinary Medical Association veröffentlichten Studie greift die Kollegin Christine Zink auf die Daten von 2505 (!) ungarischen Vorstehhunden (Magyar Vizsla) zurück. Es macht im Rahmen eines Blog-Artikels wie diesem keinen Sinn, detailliert auf Kollegin Zinks Ergebnisse einzugehen, aber alles in allem muss man feststellen, dass kastrierte Tiere beiderlei Geschlechts ein teilweise um ein Mehrfaches erhöhtes Risiko aufwiesen, an bestimmten Krebsarten (Mastzelltumore, Hämangiosarkom, Lymphosarkom) zu erkranken, und das auch noch zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als intakte Artgenossen. Auch bestimmte Verhaltensstörungen, vor allem die Angst vor Gewittern, kamen bei kastrierten Tieren deutlich häufiger vor. Andere Studien belegen, dass das Risiko für die Entwicklung eines Osteosarkoms (Knochenkrebs) für kastrierte Hunde um das drei- bis vierfache erhöht ist. Selbst die Datenlage zur Verhinderung von Gesäugetumoren durch die Kastration steht unter Beschuss. Und bösartige Prostatatumoren beim Rüden treten bei Kastraten nicht seltener, sondern häufiger auf!
Insgesamt wird die erhöhte Anfälligkeit für Tumorerkrankungen aktuell mit einer durch den Wegfall der Geschlechtshormone zusammenhängenden Beeinträchtigung des Immunsystems in Zusammenhang gebracht. Dafür spricht auch, dass bei kastrierten Hunden offenbar sogar eine höhere Infektanfälligkeit nachzuweisen ist.

Besonders bedrückend ist für mich, dass eine Kastration fast sicher das Auftreten von Hämangiosarkomen, den berüchtigten Milztumoren, fördert. Ich bin auf diese Erkrankung in einem früheren Blogartikel schon einmal eingegangen. Mit dieser extrem bösartigen und gefährlichen Tumorart haben wir es bei älteren Hunden andauernd zu tun. Unsere Nandi wurde aufgrund metastasierter Milztumore eingeschläfert. Die Vorstellung, dass wir diese fiese Krankheit durch Kastration auch noch gefördert haben sollen, finde ich einfach schrecklich. Meine amerikanische Kollegin und Krebsspezialistin Alice Villalobos findet dafür einen sehr passenden Ausdruck: Earth shattering!

Damit leider nicht genug: Auch verschiedene orthopädische Probleme werden inzwischen mit der Kastration in Verbindung gebracht. Bezüglich Kreuzbandrissen scheint es bereits unumstritten festzustehen, dass diese Verletzung bei kastrierten Tieren deutlich häufiger vorkommt. Es gibt aber auch Hinweise, dass sogar Hüftgelenkarthrosen bei Kastraten früher und schlimmer auftreten. Letzteres scheint aber noch nicht wirklich sicher. Ziemlich klar dagegen ist der Zusammenhang zwischen der Kastration und der häufigsten endokrinologischen Störung des älteren Hundes, der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose).

Nachdem, wie schon erwähnt, momentan alles in Frage gestellt wird, was bisher galt, könnte man noch einige Punkte mehr aufführen, aber das bringt uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir den Grundsatz, niemals schaden zu wollen, ernst nehmen, ist es hier und jetzt Zeit für einen Kurswechsel. Wir können beim Hund nicht mehr guten Gewissens einfach so im Vorbeigehen kastrieren! Selbstverständlich wird es nach wie vor Hunde geben, die nach sorgfältigster Abwägung der individuellen Umstände trotzdem kastriert werden. Da mögen bestimmte Haltungsbedingungen (Hündin und Rüde im gleichen Haushalt) vorliegen oder gute medizinische Gründe (Perianaltumore oder eine Perinealhernie beim Rüden, chronische oder akute Gebärmuttererkrankungen bei der Hündin), die einfach keine andere Wahl lassen. Von solchen klaren Indikationen aber abgesehen werden wir in Zukunft mit Kastrationen in unserer Praxis noch zurückhaltender sein als wir es in den letzten Jahren sowieso schon waren.

Ach ja, ein letzter Punkt vielleicht noch: In letzter Zeit scheint es sich zu häufen, dass Hundetrainerinnen und Hundetrainer es sich zutrauen, speziell bei Rüden eine Kastrationsindikation zu stellen, um Erziehung und Handling zu erleichtern. Die Besitzer treten dann an uns heran mit der Bitte, den Hund zu kastrieren, weil es die Trainerin oder der Trainer so angeraten habe. Davon kann unter Berücksichtigung der erläuterten Faktenlage natürlich gar keine Rede sein! Eine sich eventuell etwas schwieriger als erwartet gestaltende Erziehung stellt zumindest in unserer Praxis keine ausreichende Begründung für diesen Eingriff dar.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass Besitzer von Hunden, die irgendwann in unserer Praxis kastriert wurden, jetzt darüber unglücklich oder gar auf uns sauer sind. Das ist einerseits auf der emotionalen Ebene ein Stück weit nachvollziehbar, andererseits kann ich den Vorwurf nur an die in der Forschung arbeitenden Stellen weitergeben. Ich bin als Praktiker von der Forschung und ihren Erkenntnissen abhängig und beileibe nicht glücklich, dass man sich bezüglich dieses Themas gute dreißig Jahre auf alten Lorbeeren ausgeruht hat. Davon abgesehen: Bitte keine Panik, dazu gibt es absolut keinen Anlass. Wenn wir beispielsweise bei einer bestimmten Tumorart von einer Verdreifachung des Risikos sprechen, klingt das im ersten Moment wirklich übel. Wenn man sich aber klar macht, dass diese Tumorart an sich nur eine Wahrscheinlichkeit von 1,5 Prozent hat, dann bedeuten die aus einer Verdreifachung des Risikos resultierenden 4,5 Prozent immer noch, dass ein ganz bestimmter Hund diesen Tumor zu 95,5 Prozent NICHT bekommen wird.

Viele, nicht zuletzt Kolleginnen und Kollegen, werden einwenden, dass ein solcher Kurswechsel langfristig auch wieder bestimmte Konsequenzen haben wird. Stimmt! Wir werden bei intakten Hündinnen eventuell wieder öfter Gesäugetumoren und ganz sicher wieder mehr Gebärmutter-Vereiterungen (Pyometren) sehen. Aber auch das ist eben eine Sache der Risikoabwägung. Ein gut aufgeklärter Besitzer wird sowohl ein Gebärmutter-Problem als auch einen Gesäugetumor frühzeitig erkennen und entsprechend beim Tierarzt vorstellen. Die Chancen einer frühen und erfolgreichen chirurgischen Intervention sind dann ganz entschieden besser als bei einem Hämangiosarkom der Milz oder gar einem Lympho- oder Osteosarkom.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich mit dieser für meine Praxis geltenden Positionsfestlegung in das sprichwörtliche Wespennest steche, und zwar gleichermaßen bei Hundebesitzern und bei Tierärzten. Sicherlich wird es viele Praxen geben, die bereits einen vergleichbaren Standpunkt eingenommen haben, dies aber nicht per Blog-Artikel öffentlich machen. Andere Kolleginnen und Kollegen werden meine Einlassungen als viel zu vorschnell verurteilen und nach immer noch beweiskräftigeren Studien rufen. Mir geht es um zwei Punkte: In erster Linie möchte ich mit diesem Artikel meine Kunden darüber informieren, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat. Darüber hinaus würde ich ungern erleben, dass wir, wie damals bei der Verlängerung der Impfintervalle, eine neue Entwicklung komplett verpennen, um dann 5 bis 10 Jahre hinter den Amerikanern her zu hinken.

Sobald sich der Staub etwas gelegt hat (was noch einige Zeit dauern kann), werden wir für unsere Kunden ein Aufklärungsformular verfassen, in dem alle bis zu diesem Zeitpunkt als gesichert geltenden Fakten aufgeführt sind.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rücker


© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen

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22 | Hundemagazin WUFF – 12/10­1/11
Die Kastration des Rüden aus verhaltensbiologischer Sicht
von Sophie Strodtbeck und PD Dr. Udo Ganslosser
 
Die Geschichte der Kastration des Rüden ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Noch immer hält sich bei vielen Tierärzten, Trainern und Hundehaltern hartnäckig der Glaube daran, dass die
 Kastration ein chirurgisches Wundermittel bei unterschiedlichsten Verhaltensproblemen darstellt. Doch eine Kastration kann niemals eine vernünftige Verhaltenstherapie ersetzen, und viele Probleme, die mit den Sexualhormonen – in diesem Fall mit dem Testosteron – in Verbindung gebracht werden, stammen aus völlig anderen Funktionskreisen und lassen sich durch eine Kastration überhaupt nicht beeinflussen, wie Tierärztin Sophie Strodtbeck und Verhaltensbiologe Dr. Udo Gansloßer betonen.  Im Folgenden versuchen die Autoren eine Entscheidungshilfe pro oder kontra Kastration zu geben.
 
 
 

Vorausgesetzt werden muss, dass der § 6 des deutschen Tierschutzgesetzes  eindeutig das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres verbietet. Ausnahmen gibt es, wenn eindeutige medizinische Indikationen vorliegen, über die an dieser Stelle auch nicht diskutiert werden soll. Im österreichischen Tierschutzgesetz sind  lt. § 7(2) Eingriffe zur Verhütung der Fortpflanzung ausdrücklich zulässig.
Eine unerwünschte Fortpflanzung kann auch durch eine Sterilisation, also durch eine Durchtrennung der Samenleiter, zuverlässig erreicht wer­den, dabei wird nicht in den Hormonhaushalt eingegriffen und es sind keine Nebenwirkungen zu erwarten.

Frühkastrationen
Kategorisch muss aber in jedem Fall die Praxis der Frühkastration abgelehnt werden. Von einer Frühkastration spricht man, wenn bereits vor Abklingen der Pubertät kastriert wird. Dieser Trend schwappt leider, vor allem bei der Hündin, aber zunehmend auch beim Rüden, aus den USA, wo diese Praxis an der Tagesordnung ist,  zu uns herüber. Hierbei entstehen nur negative Folgen für die Hunde
Die Geschichte der Kastration des Rüden ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Noch immer hält sich bei vielen Tierärzten, Trainern und Hundehaltern hartnäckig der Glaube daran, dass die
 Kastration ein chirurgisches Wundermittel bei unterschiedlichsten Verhaltensproblemen darstellt. Doch eine Kastration kann niemals eine vernünftige Verhaltenstherapie ersetzen, und viele Probleme, die mit den Sexualhormonen – in diesem Fall mit dem Testosteron – in Verbindung gebracht werden, stammen aus völlig anderen Funktionskreisen und lassen sich durch eine Kastration überhaupt nicht beeinflussen, wie Tierärztin Sophie Strodtbeck und Verhaltensbiologe Dr. Udo Gansloßer betonen.  Im Folgenden versuchen die Autoren eine Entscheidungshilfe pro oder kontra Kastration zu geben.


Negative Folgen für die Hunde:
Die betroffenen Tiere werden  aggressiver gegenüber  gleichgeschlechtlichen Artgenossen und insgesamt unsicherer, nicht nur gegenüber anderen Hunden. Sie bleiben in der körperlichen Entwicklung zurück und werden nie richtig erwachsen, da ihre geistige Leistungsfähigkeit nicht voll ausgereift ist. Das liegt daran, dass sich das Gehirn unter dem Einfluss der Sexualhormone in der Pubertät  nochmals weiterentwickelt.

Gründe für Kastrationen
Wie eine Befragung der Hundehalter im Rahmen der „Bielefelder Kastrations studie“ (Niepel, 2007) ergab, stellt unerwünschtes  Verhalten den häufigsten Grund für eine Kastration dar (74%), gefolgt von 30% der Befragten, die Haltergründe, also bspw. das Zusammenleben von Hündin und Rüde in einem Haushalt angaben. Nur bei 21% der Hundehalter spielten medizinische Überlegungen eine Rolle. (Da auch Mehrfachnennungen möglich waren, ergeben sich insgesamt über 100%).

Aggression ist nicht gleich Aggression
Sehr weit verbreitet ist immer noch der Glaube, dass man durch eine Kastration Aggressionsverhalten beseitigen kann. Dies ist allerdings nur in ganz seltenen Fällen gegeben und bedarf einer genauen und  differenzierten Analyse des gezeigten Verhaltens, da es „das Aggressionsverhalten“ per se nicht gibt. Aggression ist vielmehr ein Mehrzweckverhalten, das immer mit der Beseitigung störender oder als gefährlich eingestufter Umwelteinflüsse im Zusammenhang steht.

Angstaggression
Eine sehr häufig auftretende Form der Aggression stellt die  Angstaggression dar. Bei dieser ist eine Kastration völlig kontraindiziert und wird das Problem deutlich verschärfen. Der Grund hierfür ist, dass Panik-­ und Angstreaktionen, die durch einen, auch befürchteten,  Kontrollverlust oder das Erwarten einer gefährlichen Situation seitens des Tieres entstehen, unter der Kontrolle des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde stehen. Das männliche Sexualhormon Testosteron hemmt die Cortisolausschüttung, wirkt dadurch angstlösend und steigert das Selbstbewusstsein. Durch die Wegnahme der Sexualhormone macht man diese Tiere noch unsicherer, was zu einer Verschlimmerung des gezeigten  Verhaltens führt. Eine Kastration ist hier also absolut kontraindiziert.
Die geschilderten Zusammenhänge stellen natürlich die gängige Praxis, Tierheimhunde generell zu kastrieren, in Frage, da diese Hunde ja durch eine komplette Änderung der Lebensumstände und ­-umgebung schon per se gestresst sind. Diese tiefgreifende Entscheidung sollte also nur nach gründlicher Einzelfallbeurteilung und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Hundes getroffen werden.

Frühkastration:
Dieser Trend schwappt leider, vor allem bei der Hündin, aber zunehmend auch beim Rüden, aus den USA, wo diese Praxis an der Tagesordnung ist, zu uns herüber.

Sicherheit geben statt Testosteron nehmen
Genauso wie die Angstaggression steht die Futterverteidigung unter dem Einfluss des Stresshormons
Cortisol und hat keinerlei Beziehung zu den Sexualhormonen.
Die sogenannte Selbstverteidigungsaggression hingegen wird durch die Hormone und Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin aus der  Nebenniere geregelt. Problematisch für den Hundehalter ist, dass gerade ein als Problemlösung erprobtes Verhalten vor allem in Furcht einflößenden Situationen sehr schnell gelernt und als Problemlösungsstrategie abgespeichert wird. Auch bei diesem „Lernen am Erfolg“ hat das erwähnte Noradrenalin seine Finger im Spiel, Sexualhormone sind auch hier nicht beteiligt.
Einzig sinnvolle Maßnahme ist hier ein individuelles Verhaltenstraining, einhergehend mit einer Verbesserung der Führungskompetenz des Halters. Besonders diesen Hunden muss Sicherheit gegeben und nicht Testosteron genommen werden.

Jungtierverteidigung und  infantizid (Kindstötung)
Verantwortlich hierfür ist das sogenannte „Elternhormon“ Prolaktin, dessen Konzentration  nachgewiesenermaßen auch bei männlichen Tieren in Anwesenheit von Jungtieren oder  Kindern in der Familie, oder bei Schwangerschaft der Halterin, ansteigt. Der biologische Auftrag des Prolaktins ist es, dafür Sorge zu tragen, dass Welpen und Kinder der eigenen Familie (auch von männlichen Tieren) verteidigt und betreut werden. Die Folge ist nicht nur eine aggressive Verteidigung der Individualdistanz zur schwangeren Halterin, oder einer sonstigen schwangeren Bezugsperson, sondern gleichzeitig oft auch eine deutliche Unfreundlichkeit gegenüber fremden Kindern, bzw. Junghunden. Dieses Verhalten wurde auch bei  kastrierten Tieren nachgewiesen. Zusätzlich ist, zumindest beim Wolf, auch ein saisonal bedingter Prolaktinanstieg bekannt. Da hohe Testosteronspiegel wiederum den Anstieg von Prolaktin hemmen, ist auch bei dieser Problematik eindeutig von einer Kastration des Rüden abzuraten.

Partnerschutzverhalten
Das Partnerschutzverhalten wird durch das „Eifersuchtshormon“ Vasopressin ausgelöst, das dafür sorgt, dass der Halter, bzw. beim Hunderüden speziell die Halterin, verteidigt wird. Besonders in der Frühphase einer Beziehungsneubildung spielt es gemeinsam mit dem Bindungshormon Oxytocin eine wichtige Rolle, indem unbeteiligte Dritte ferngehalten werden. Aber auch generell sind diese beiden Hormone an der Regelung sozialer Beziehungen beteiligt. Auch dieses Hormonsystem lässt sich durch eine Kastration nicht beeinflussen.

Echte Status- und Wettbewerbsaggression
Anders ist die Situation bei einer echten Status­ oder Wettbewerbsaggression oder auch bei einer territorialen Aggression. Hier könnte die Kastration eine Verbesserung der Problematik bewirken ­ allerdings nur dann, wenn das gezeigte Verhalten wirklich hormongesteuert und noch nicht erlernt ist. Jedoch ist bei vielen Tierarten (z.B. Pferden und Affen) erwiesen, dass der  Testosteronspiegel nach der Rangverbesserung ansteigt, d.h. erst werden Aggressionen gezeigt, dann steigt die Konzentration der Sexualhormone. Dies widerlegt die These „viel Testosteron = viele Rangordnungskämpfe“.

Die Sache mit der Dominanz
Immer wieder ist vom „Dominanzverhalten“ die Rede, welches die Wurzel allen Übels sei, und das nur zu oft als Indikation für eine  Kastration herhalten muss. Dominanz ist aber keine Eigenschaft, sondern eine Beziehung, und zwar eine, die von unten nach oben stabilisiert und nicht andersrum von oben nach unten „durchgeboxt“ wird. Ein wirklich als dominant anerkanntes Tier ist souverän und hat keine  Aggression nötig. Einem dominanten Tier werden freiwillig Privilegien zugestanden, sprich, es kann jederzeit seine  Interessen ohne den Einsatz von Gewalt gegen den Anderen durchsetzen. Das oft als Dominanz bezeichnete Verhalten hat also nichts mit einem Dominanzstreben des Hundes zu tun,  sondern spiegelt in den meisten Fällen einen mangelnden Führungsanspruch bzw. mangelnde Führungskompetenz des Halters wider. Dass hier eine Kastration keine Abhilfe schaffen kann, muss wohl nicht extra erwähnt werden.

Streunen und Jagdverhalten
Einen weiteren Grund für eine Kastration stellt oft das Streunen bzw. das Jagdverhalten dar. Richtig ist zwar, dass beim männlichen Säugetier die Tendenz, größere Streifgebiete zu nutzen, diese zu markieren und zu kontrollieren, unter dem Einfluss der Sexualhormone im Gehirn angelegt wird, allerdings geschieht das schon vor der Geburt und lässt sich danach kaum mehr beeinflussen.
Etwas anderes ist das Streunen in Anwesenheit läufiger Hündinnen, das tatsächlich sexuell motiviert ist und durch eine Kastration gegebenenfalls beeinflusst werden kann.
Das Jagd­ und Beutefangverhalten des Caniden wird durch sehr einfache Reize ausgelöst: Ein sich schnell vom Tier weg bewegendes Objekt löst eine Verfolgung, bzw. Beutefangverhalten aus, auch dies hat nichts mit den Sexualhormonen zu tun.

Hypersexualität
Bei der sogenannten Hypersexualität des Rüden muss klar differenziert werden, aus welchem Verhaltenskreis sie entspringt. Aufreiten hat sehr oft gar nichts mit dem Sexualverhalten zu tun. Häufig ist es einfach eine Übersprungshandlung, oder es handelt sich um eine Bewegungstereotypie, die dem Stressabbau dient. Wird das Verhalten zwischen mehreren  Hunden einer etablierten Gruppe gezeigt, handelt es sich meist um Spiel.

Auch sollte bei der Entscheidung pro oder kontra Kastration aus diesem Grund beachtet werden, dass auch kastrierte Rüden in Anwesenheit einer läufigen Hündin oft noch komplettes Paarungsverhalten inklusive Hängen zeigen, und das auch noch jahrelang nach der Kastration. Das liegt daran, dass bei sexuellen Aktivitäten der Glücksbotenstoff Dopamin ausgeschüttet wird, dessen selbstbelohnende Wirkung nachgewiesen ist. Dopamin spielt übrigens auch beim Menschen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Suchterkrankungen.  

Nur wenn es sich tatsächlich um sexuell motiviertes Verhalten handelt, ist eine Kastration eventuell in Erwägung zu ziehen – aber dies sollte unbedingt im Vorfeld mit professioneller Hilfe durch genaue Analyse der auftretenden Situationen geklärt werden!

Einzelfellentscheidung
Nach der Lektüre dieses  Artikels sollte klar sein, dass sich eine
 Kastrationsempfehlung nicht pauschal aussprechen lässt, sondern immer die Ursachen der Verhaltensauffälligkeiten genauestens analysiert werden sollten, um die gezeigte Problematik nicht weiter zu verschärfen.

In Einzelfällen, wie etwa beim Herumstreunen bei Anwesenheit läufiger Hündinnen, bei einer echten, durch Sexualhormone ausgelösten Hypersexualität, oder bei einer echten statusbedingten Aggression, kann  die Entscheidung für eine Kastration richtig sein und eine Verbesserung der Problematik mit sich bringen, aber auch nur dann, wenn das  gezeigte Verhalten durch Sexualhormone gesteuert wird und noch nicht erlernt ist.
Auf gar keinen Fall aber kann eine Kastration eine Verhaltenstherapie ersetzen oder gar als Allheilmittel gesehen werden.
 
 
 Bei diesem Anblick überkommt vor allem Männer gern das Schaudern ...
 
 (Leider konnte ich die Bilder zu diesem Artikel nicht alle mit einfügen.)
 
 
 

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